Darmkrebs - welche Rolle spielen Ballaststoffe?

Darmkrebs, das sogenannte „Kolorektale Karzinom“, gehört derzeit zu den häufigsten Tumorerkrankungen in Deutschland. Er entsteht in der Regel aus unkontrollierten Wucherungen (Polypen), die sich in der Schleimhaut des Dickdarms bilden. Insgesamt erkranken mehr als 5% der Deutschen einmal im Laufe ihres Lebens an Darmkrebs, damit ist es bei Frauen derzeit die zweithäufigste und bei Männern die dritthäufigste Krebserkrankung [1].

Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen widmen sich deshalb der Frage, welcher Lebensstil uns möglicherweise vor dieser Erkrankung schützen oder einen schweren Verlauf zumindest verhindern kann. Dafür haben viele Studien neben den Auswirkungen von regelmäßiger Bewegung [2], genetischen Faktoren [3] und der Einnahme von Genussmitteln wie Tabak [4] und Alkohol [5] auch konkret die Effekte einer ballaststoffreichen Kost in den Blick genommen.

 

Schutzwirkung durch Ballaststoffe?

Inzwischen liefern verschiedene Studien Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen ballaststoffreicher Ernährung und einem verringerten Darmkrebsrisiko:

  • Dagfinn Aune kommt mit seinen Kollegen in einer Metaanalyse über 25 Studien zu dem Schluss, dass eine erhöhte Einnahme von Ballaststoffen mit einem verringerten Darmkrebsrisiko verbunden ist. Ihre Untersuchung legt nahe, dass eine gesteigerte Ballaststoffzufuhr um 10 g pro Tag mit einem um 10% geringeren Darmkrebsrisiko assoziiert ist [6].
  • Das Forschungsteam um Andrew Reynolds liefert eine Übersichtsarbeit, die über 150 Studien einschließt: Wurde ein um 8 g pro Tag erhöhter Ballaststoffverzehr berichtet, so sank das Darmkrebsrisiko hier statistisch um etwa 8% [7].
  • Die Daten der EPIC-Studie, die als weltweit größte Studie den Zusammenhang zwischen Ernährung und verschiedenen Krankheiten in Europa erforscht, kommt zu dem Schluss: Eine Erhöhung der täglichen Ballaststoffzufuhr von 15 g auf 35 g geht mit einem um 40 % geringerem Darmkrebsrisiko einher [8].

Auch das Team um Christina C. Dahm, das den Zusammenhang zwischen ballaststoffreicher Ernährung und Darmkrebsrisiko mittels Ernährungstagebücher untersuchte, zieht ein ähnliches Fazit und konstatiert: „Intake of dietary fiber is inversely associated with colorectal cancer risk.“ [9].

Doch wie verhält es sich bei Personen, die bereits an Darmkrebs erkrankt sind? Eine prospektive Studie des Forschungsteams um Mingyang Song liefert Hinweise darauf, dass eine ballaststoffreiche Ernährung die Überlebenschancen der Patienten erhöhen kann, selbst wenn die Ernährungsumstellung erst nach der Diagnose erfolgt. Dieser Zusammenhang ließ sich insbesondere dann beobachten, wenn bevorzugt Getreide als Ballaststofflieferant genutzt wurde [10].

 

Mögliche Mechanismen.

Wie der Zusammenhang zwischen ballaststoffreicher Ernährung und Darmkrebs zu erklären ist, darüber wird in der Wissenschaft derzeit noch spekuliert. Einige Forscher vertreten die Meinung, dass Ballaststoffe krebserregende oder toxische Stoffe binden und so deren Konzentration im Darm reduzieren können. Andere halten dagegen die Hypothese für wahrscheinlicher, dass durch die angeregte Verdauung ein schnellerer Abtransport krebserregender Substanzen aus dem Körper erfolgt.

Erste Hinweise, dass es einen Zusammenhang zwischen der individuellen Darmflora und dem Risiko für Darmkrebs geben könnte, liefert die Studie des Forscherteams um Jiyoung Ahn. Es stellte fest, dass Patienten mit Darmkrebs im Vergleich zu gesunden Probanden insgesamt eine geringere Vielfalt an Darmbakterien im Stuhlgang aufwiesen und es auch Unterschiede in der Art der vorkommenden Bakterienstämme gab. Neben einer Verringerung der faserfermentierenden Clostridien konnten die Forscher auch eine Erhöhung entzündungsfördernder Bakterienarten beobachten [11]. Eine ähnliche Hypothese stellt auch das Team um Alexis Mosca auf: Sie vermuten, dass unser moderner Lebensstil zu einer verringerten Vielfalt der Darmbakterien führt, und dass diese Instabilität unserer Darmflora die Entwicklung zahlreicher Krankheiten, unter anderem auch Darmkrebs, begünstigt [12]

 

Vorsicht bei der Interpretation.

Aktuell ist die Datenlage im gesamten Forschungsfeld noch uneinheitlich, weshalb auch das Deutsche Krebsforschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft keine konkrete Diät zur Vorbeugung empfiehlt, jedoch auf die Vorteile einer ballaststoffreichen Ernährung verweist. Diese Zurückhaltung liegt unter anderem daran, dass es auch Studien gibt, die keinen Zusammenhang zwischen einer ballaststoffreichen Ernährung und dem Darmkrebsrisiko finden [13], [14], oder in denen der Zusammenhang statistisch unbedeutend wird, sobald andere Kontrollvariablen in die Analyse eingeschlossen werden [15].

 

Literaturverzeichnis:                                                            

[1]           Deutsches Krebsforschungszentrum, „Dick- und Enddarmkrebs: Anatomie, Entstehung, Häufigkeit“. (zugegriffen Sep. 19, 2021).

[2]           A. K. A. Samad, R. S. Taylor, T. Marshall, und M. a. S. Chapman, „A meta-analysis of the association of physical activity with reduced risk of colorectal cancer“, Colorectal Dis., Bd. 7, Nr. 3, S. 204–213, 2005, doi: 10.1111/j.1463-1318.2005.00747.x.

[3]           N. S. Fearnhead, J. L. Wilding, und W. F. Bodmer, „Genetics of colorectal cancer: hereditary aspects and overview of colorectal tumorigenesis“, Br. Med. Bull., Bd. 64, S. 27–43, 2002, doi: 10.1093/bmb/64.1.27

[4]           E. Botteri, S. Iodice, V. Bagnardi, S. Raimondi, A. Lowenfels, und P. Maisonneuve, „Smoking and Colorectal Cancer: A Meta-analysis“, JAMA J. Am. Med. Assoc., Bd. 300, S. 2765–78, Jan. 2009, doi: 10.1001/jama.2008.839.

[5]           A. Moskal, T. Norat, P. Ferrari, und E. Riboli, „Alcohol intake and colorectal cancer risk: A dose–response meta-analysis of published cohort studies“, Int. J. Cancer J. Int. Cancer, Bd. 120, S. 664–71, Feb. 2007, doi: 10.1002/ijc.22299.

[6]           D. Aune u. a., „Dietary fibre, whole grains, and risk of colorectal cancer: systematic review and dose-response meta-analysis of prospective studies“, BMJ, 2011, doi: 10.1136/bmj.d6617.

[7]           A. Reynolds, J. Mann, J. Cummings, N. Winter, E. Mete, und L. Morenga, „Carbohydrate quality and human health: a series of systematic reviews and meta-analyses“, The Lancet, Bd. 393, Feb. 2019, doi: 10.1016/S0140-6736(18)31809-9.

[8]           S. Bingham u. a., „Dietary fibre in food and protection against colorectal cancer in the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC): An observational study“, Lancet, Bd. 361, S. 1496–501, Juni 2003, doi: 10.1016/S0140-6736(03)13174-1.

[9]           C. Dahm u. a., „Dietary Fiber and Colorectal Cancer Risk: A Nested Case-Control Study Using Food Diaries“, J. Natl. Cancer Inst., Bd. 102, S. 614–26, Mai 2010, doi: 10.1093/jnci/djq092.

[10]         M. Song u. a., „Fiber intake and survival after colorectal cancer diagnosis“, JAMA Oncol., Bd. 4, Nr. 1, S. 71–79, Jan. 2018, doi: 10.1001/jamaoncol.2017.3684.

[11]       J. Ahn u. a., „Human gut microbiome and risk for colorectal cancer“, J. Natl. Cancer Inst., Bd. 105, Nr. 24, S. 1907–1911, Dez. 2013, doi: 10.1093/jnci/djt300.

[12]       A. Mosca, M. Leclerc, und J. P. Hugot, „Gut Microbiota Diversity and Human Diseases: Should We Reintroduce Key Predators in Our Ecosystem?“, Front. Microbiol., Bd. 7, S. 455, März 2016, doi: 10.3389/fmicb.2016.00455.

[13]       H. Ishikawa u. a., „Randomized trial of dietary fiber andLactobacillus casei administration for prevention of colorectal tumors“, Int. J. Cancer J. Int. Cancer, Bd. 116, S. 762–7, Sep. 2005, doi: 10.1002/ijc.21115.

[14]       D. J. Robertson u. a., „Fat, Fiber, Meat and the Risk of Colorectal Adenomas“, Am. J. Gastroenterol., Bd. 100, Nr. 12, S. 2789–2795, Dez. 2005, doi: 10.1111/j.1572-0241.2005.00336.x.

[15]       Y. Park u. a., „Dietary Fiber Intake and Risk of Colorectal CancerA Pooled Analysis of Prospective Cohort Studies“, JAMA, Bd. 294, Nr. 22, S. 2849–2857, Dez. 2005, doi: 10.1001/jama.294.22.2849.

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